Organspende-Entscheidung für das Leben
Haben Sie jemals darüber nachgedacht, was es bedeutet, mit den eigenen Organen nicht überleben zu können, sondern auf die Spende eines Toten angewiesen zu sein? Die meisten Menschen sind mit diesem Thema noch nie in Berührung gekommen, und das, obwohl – theoretisch – jeder von uns bereits morgen direkt betroffen sein könnte.
Gerd Hunsinger, Mitarbeiter der Stadtsparkasse Kaiserslautern, wurde bereits in jungen Jahren mit dieser Problematik konfrontiert und engagiert sich mit Herzblut, um mehr Bewusstsein und Aufklärung zu schaffen.
„Bereits im Alter von zehn Jahren wurde bei mir eine Nierenerkrankung diagnostiziert, deren Verlauf unweigerlich zum völligen Nierenversagen führen würde. Damals konnte dieser Prozess noch durch eine Medikamententherapie aufgehalten werden. Mehrere Jahre lang nahm ich daher starke Medikamente ein. Als Jugendlicher schien die Sache dann überstanden: Ich war beschwerdefrei und auch die Blutwerte hatten sich normalisiert.
Als der Rückfall einsetzte, war ich Mitte zwanzig, bereits seit mehreren Jahren verheiratet und Student der Betriebswirtschaftslehre. Die Symptome kannte ich schon aus der Kindheit: Blut im Urin, hoher Blutdruck und stark verschlechterte Blutwerte. Nachdem ich über mehrere Jahre hinweg zunächst wieder medikamentös behandelt werden konnte, war dann 1999 die Einleitung einer Dialyse, also einer künstlichen „Blutreinigung“, unausweichlich.
Ich entschied mich für die Heimdialyse, die im häuslichen Umfeld durchgeführt werden kann, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Und auch meinen Beruf konnte ich mit dieser Dialyseform weitgehend in Einklang bringen, was mir sehr wichtig war.
Unmittelbar mit Dialysebeginn ließ ich mich auf die Warteliste für ein Spenderorgan setzen. Mit der Dialyse kam ich soweit gut klar. Vier- bis fünfmal pro Tag musste ich vollkommen eigenverantwortlich die Dialyseflüssigkeit wechseln – das dauerte jeweils etwa eine halbe Stunde. Dank der Unterstützung von Familie und Freunden, aber auch des Arbeitgebers und der Kollegen, konnte ich die Behandlungen in meinen privaten und beruflichen Alltag integrieren.
Am 4. April 2007 – nach fast acht Jahren Wartezeit – konnte in der Uniklinik Homburg endlich die erhoffte Nierentransplantation durchgeführt werden. Die Operation verlief erfolgreich und die Niere arbeitet seither sehr gut.
Mir ist bewusst, dass eine Spenderniere im statistischen Mittel nur etwa 15 bis 18 Jahre ihren Dienst verrichtet. Und dann wird wieder alles von vorne beginnen: Dialyse und langes Warten auf ein Spenderorgan – mit allen Begleiterscheinungen. Aber diese „geschenkte Lebenszeit“ mit meiner jetzigen Spenderniere ist für mich so wertvoll, dass ich an diese schwierige Zeit, die irgendwann wieder vor mir liegt, heute noch keinen Gedanken verschwenden will. Vielleicht schaffe ich ja auch mehr als die Statistik vorhersagt…“
Um Menschen mit demselben Schicksal informieren und unterstützen zu können, gründete Gerd Hunsinger gemeinsam mit anderen Betroffenen die Selbsthilfegruppe „HDP“ (Heim Dialyse Patienten e.V.) zum Thema Nierenversagen, Dialyse und Transplantation. Der Erfahrungsaustausch gibt Sicherheit und das schöne Gefühl, mit seinen Ängsten und Problemen nicht alleine zu sein (www.hdpev.de).
Ein immenses Problem ist die gesetzliche Regelung in Deutschland. Im europäischen Ausland gilt meist die sogenannte Widerspruchsregelung: Wer NICHT widerspricht, ist automatisch Organspender. Auch in Deutschland wäre diese Regelung sinnvoll, denn laut Umfragen sind 80% der Deutschen FÜR eine Organspende, aber die wenigsten besitzen einen Organspendeausweis oder haben die Angelegenheit klar mit ihren Angehörigen besprochen – meist aufgrund von Mangel an Aufklärung.
Wie läuft eine Organspende ab?
Ab dem 16. Lebensjahr darf man den Organspendeausweis ausfüllen (von 14 bis 16 Jahre hat man nur die Möglichkeit, der Spende aktiv zu widersprechen – eine Zustimmung ist hier noch nicht möglich). Doch was genau bedeutet es, einer Organspende zuzustimmen?
Wir sprechen hier davon, die Organe NACH dem eigenen Tod zu spenden – es gibt auch die Möglichkeit einer Lebendspende, diese bezieht sich z.B. auf die Nieren (da der Mensch zwei Nieren hat, aber auch mit nur einer überleben kann). Die Lebendspende ist ein so spezieller Fall, dass hier nicht weiter darauf eingegangen wird. Füllt man seinen Organspendeausweis aus, so bezieht sich dies immer auf die postmortale Organspende. Die erste Voraussetzung zur Spende ist damit erfüllt, dass die Entscheidung getroffen wurde, die Organe zu spenden, und zusätzlich die Angehörigen zustimmen. Es ist also immer ratsam, der Familie seine Entscheidung mitzuteilen, sodass diese dann im Sinne des Verstorbenen handeln kann. Im nächsten Schritt muss der Hirntod des Patienten zweifelsfrei festgestellt werden – dazu später mehr. Sind diese zwei Kriterien erfüllt, so werden Untersuchungen der Organe vorgenommen, um die Transplantierten davor zu bewahren, Krankheiten oder Komplikationen zu erleiden. (Das Alter spielt dabei keine Rolle – es geht nur um die Organfunktion.) Erst dann können die Organe zur Spende freigegeben werden. Sieben Leben kann eine Entscheidung für die Organspende retten: 2 Nieren, Herz, Lunge, Leber, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm können transplantiert werden.
Nur 1 % der in deutschen Krankenhäusern versterbenden Menschen erleidet den Hirntod, meist tritt zuvor der Herzstillstand ein. Diese Zahlen verdeutlichen einmal mehr die Bedeutung der Bereitschaft zur Spende!
„Entscheidend ist die Entscheidung“
Zahlreiche Aktionen und Organisationen bemühen sich um Aufklärung der Allgemeinheit und um die Unterstützung von Betroffenen. So startet die Initiative Organspende Rheinland-Pfalz gemeinsam mit dem Verein Junge Helden regelmäßig die „Schultour Organspende“, an der Gerd Hunsinger bereits mehrfach teilgenommen hat. In diesem Format werden Schülerinnen und Schülern ab der zehnten Jahrgangsstufe Informationen rund um das Thema nähergebracht – zudem besteht die Möglichkeit, Patienten, Angehörigen von Spendern und medizinischem Fachpersonal Fragen zu stellen und auf diese Weise ein klares Bild zu erhalten. Dabei geht es nicht darum, die jungen Menschen dazu zu überreden, ihre Organe zur Spende freizugeben, sondern darum, eine Entscheidung pro oder contra Organspende zu erleichtern und mit Fakten zu untermauern. Auf der Website der Initiative Organspende Rheinland-Pfalz sind zudem Erfahrungsberichte von Betroffenen zu finden – Menschen, denen durch ein Spenderorgan ein neues Leben geschenkt wurde. Liest man diese berührenden und persönlichen Geschichten, so kommt zu Bewusstsein, wie bedeutend die gesamte Thematik ist. In dem Verein Junge Helden engagieren sich auch bekannte Persönlichkeiten – so zum Beispiel Joko und Klaas, Jürgen Vogel und Johanna Klum – und geben der Organisation damit viele Gesichter. Natürlich kommen diese bei den Schulklassen besonders gut an. Mit ihrem Film „Entscheidend ist die Entscheidung“ sprechen sie genau diese Altersklasse an und betonen immer wieder, wie wichtig es ist, sich darüber klar zu werden, was eine Entscheidung dafür oder dagegen bedeutet.
Auch die Stadtsparkasse Kaiserslautern konnte bereits bei einer Informationsveranstaltung mitwirken, als nämlich die Ausstellung „Herz verschenken“ 2016 in ihren Hallen gastierte – auch hierzu hatte Gerd Hunsinger maßgeblich beigetragen, indem er die Stadtsparkasse als Gastgeber für die Wanderausstellung vorschlug.
Ängste und Bedenken
Spricht man das Thema an, so merkt man schnell, dass der Mangel an Informationen Ängste und Bedenken begünstigt. Zudem setzen sich Menschen im Allgemeinen nicht gerne mit dem Sterben auseinander – absolut verständlich. Wahrscheinlich kennt jeder Einzelne Berührungsängste, was die Thematik Tod anbelangt. Zusätzlich werden die Ängste durch Filme geschürt, die allzu gerne den Organhandel aufgreifen, sowie das Entnehmen der Organe, wenn dem Menschen eigentlich noch geholfen werden könnte. Viele gruselt auch die Vorstellung, einen Teil von sich selbst abgeben zu müssen, welcher dann in einem anderen Menschen weiterlebt – hier könnte man endlos auf philosophischer und spiritueller Ebene argumentieren.
Umso wichtiger ist es, immer wieder zu informieren, aufzuklären und Rede und Antwort zu stehen. Eine der Ängste kann dadurch genommen werden, dass der Hirntod zweifelsfrei von zwei unabhängigen Ärzten durch bestimmte Tests festgestellt werden muss.
„Nach der Etablierung des Diagnostikverfahrens für den Hirntod wurde in Deutschland noch nie ein Patient fälschlich für hirntot erklärt.“
An dieser Stelle kommt häufig das nächste Argument, bzw. die nächste Angst: Wenn der behandelnde Arzt meinen Organspendeausweis sieht, hilft er mir nicht konsequent genug, denn mein Tod hätte ja einen Nutzen für ihn. Hier reicht es aus, auf den Ärzte-Kodex hinzuweisen, der besagt, dass alles Mögliche unternommen werden muss, um den Patienten am Leben zu erhalten. Zudem zieht der behandelnde Arzt keinerlei Vorteile aus der Organspende und hat auch gar nicht direkt damit zu tun. Der ganze Vorgang ist komplexer als die meisten Menschen vermuten würden.
Können Sie trotz aller Informationen Ihre Zweifel nicht beseitigen, so haben Sie immer noch die Möglichkeit, „Nein“ auf dem Ausweis anzukreuzen und damit hat dieser Artikel trotzdem etwas bewirkt, denn „entscheidend ist die Entscheidung“. Sie helfen mit einem Organspendeausweis in jedem Fall – entweder dem Empfänger des Organs oder Ihren eigenen Angehörigen, die ansonsten in einer der schlimmsten Situationen ihres Lebens diese Entscheidung FÜR Sie treffen müssten.
Und ist es nicht ein wunderschönes Gefühl, dass wir mit unserem Tod – der den meisten von uns so sinnlos erscheint – möglicherweise SIEBEN Menschen ein neues Leben ermöglichen?
Zahlen, Daten, Fakten
- In Deutschland warten zurzeit ca. 10 000 Menschen auf ein überlebenswichtiges Spenderorgan.
- Die Verteilung der Spenderorgane wird über die Warteliste von Eurotransplant festgelegt; entscheidend sind u.a. die Dringlichkeit sowie die Erfolgswahrscheinlichkeit.
- Täglich sterben drei Menschen auf der Warteliste, weil es nicht genug Organspenden gibt.
Quellen und mehr Informationen zum Thema:
Junge Helden e.V.: http://junge-helden.org/
Landeszentrale für Gesundheitsförderung: https://www.lzg-rlp.de/de/
Deutsche Stiftung Organtransplantation: https://www.dso.de/
Heim Dialyse Patienten e.V.: https://www.hdpev.de/
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